Goldfieber
Das Beweisstück für alle zurückliegenden Mühen liegt immer in Sichtweite im Schrank,
auch nach zehn Jahren noch, als ständig gegenwärtige Mahnung und Auszeichnung zugleich. Dirk Pütter,
Geschäftsfürher seines eigenen Volvo-Autohauses in Schwerte, holt zögert und reicht es dann doch über den Tisch.
Bedächtig, als wäre es ein Glas Wasser. "Dass ist der originale Instrumenträger, schauen Sie mal auf den Kilometerstand. Da habe ich mit der Restaurierung
begonnen."435.790 steht da, eine Zahl, die mehr sagt als Tausend Worte.
Muss ein solides Auto sein, das alte Volvo Coupé, oder herr Pütter? "Von Wegen. Das auto war völlig am Ende, ich würde eine solche
Restaurierung nicht noch einmal angehen."
1987 war das charaktervolle Coupé, dessen strenge Form vom so eigentümlich gekapptem Dach bestimmt wird (und bei Betrachtern entweder
ein begeistertes "Wow 'oder ein entsetzes "Uahh"auslöst, aber nichts dazwischen), ins Volvo-Haus der Familie gekommen.
"Mein Vater hat ihn damals für 760 Mark in Zahlung genommen. Es war ein verlebter Gebrauchtwagen, acht Jahre alt und schon ziemlich am Ende.
Und obwohl mein Vater ein Herz für Oldtimer und natürlich speziell für klassische Volvo hatte, fand er das Coupé einfach nu hässlich.
'Panzerspähwagen' war noch die freundlichste Beschreibung", erzöhlt Dirk Pütter und ergänzt, dass er eigentlich sehr gerne eckig mag.
Die meinung von Herrn Pütter senior teilten zu aktuellen 262C-Zeiten viele Betrachter, die
1977 auf dem Genfer Salon der Krönung der bisher so betont sachlichen Volvo-Familie ansichtig wurden. Die Ziffernkombination folge folgte
noch der logischen Volvo-Nomenklatur:2. Baureihe, 6 Zylinder, 2 Türen, Coupé. Die Kombination eines massigen Karosseriekörpers
mit unnatürlich niedrigem Dach, garniert mit schwülstigen, königstreuen
Krönchen an der C-Säule und einem stilistisch kaum noch taufrischen Vinyldach, erschreckte freilich viele der Salon-Besucher...
Karosseriebauer Bertone, dessen Logo die Kotflügel zierte und der im Volvo-Auftrag die Fertigung übernommen hatte, beeilte sich auch zu versichern,
dass er nur wenige Retuschen des Design übernnommen hätte, das wie Karosserieteile und Technik-Komponenten aus Schweden vorgegeben worden war.
Entworfen hatte das flache Flaggschiff Volvo-Designer Jan Wilsgaard, der V6-Motor stammte aus dem Regal und gedacht was das Ganze für
den wichtigen US-markt, wohin auch 80 Prozent der 6622 gebauten Coupés verschifft werden sollten. Der Euro-V6, den sich Volvo und Renault teilte,
galt immer als eher lahm aber durstig - dies, verbunden mit den happigen Preisschild von fast 40.000 Mark sorgte zwangsläufig dafür,
dass der schneidige Volvo auf dem deutschen Markt rund 100 verkauften Einheiten ein absolter Exot blieb.
Wir haben es mit Nummer 5755 zu tun, die einst bei Volvo Deutschland offizieller Vorführwagen im Einsatz stand. Umso erstaunlicher,
wie lieblos der nächste Besitzer sein goldenes Coupé behandelt hatte. "Der mann ist auf Verschleiß gefahren, mit so einen Auto.
Regelmäßig mit Anhänger dran über die Alpen, null Pflege und das 370.000 Kilometer lang", sagt Dirk Pütter, der dem Vater den 262 C
abschwatzen konnte und ein paar Jahre im Alltag bewegte.
Arbeit machte erst einmal der 148 PS starke 2,6-Liter-V6, jenes gemütliche Stück Eisen, dem allzu oft eine schwächliche Konstitution angedichtet wird.
"Ich habe bald die Kipphebelwellen und die Nockenwelle erneuert, die bei diesem Motor traditionell einlaufen. Schuld ist ein Gummidichtung im Ölkreislauf,
der oft Ärger macht, wodurch zu wenig schmierstoff oben ankommt. Ein Pfennigteil. Damals war ich noch in der Ausbildung, mir war aber schon klar,
dass ich den Wagen restaurieren wollte. Zuerst habe ich noch eine Scheune in der umgebung gesucht, habe alle Bauernhöfe abgeklappert" sagt Pütter und er
scheint noch ainmal durchzuatmen, ehe er ins Detail geht. "Als ich begonnen habe, den Wagen zu zerlegen, war mir schnell klar,
dass er nur noch unter professionellen Bedingungen zu retten war.
Mit abends in einer kalten Halle ein bisschen basteln war da nichts zu holen..."
1994 fiel der Startschuss zur Restaurierung: völlig zerlegt und komplett ausgeraümt ging die Karosserie zu einem Spezialbetrieb, wo sich in einem
Ofenbei 600 Grad Lack, Klebereste und Beschichtungen auflösten. Anschließend wurde das Blech mit sanftem Druck gestrahlt.
Danach kam die Flex - und als die endlich verstummte, stand nur noch ein Torso...
Das heck war bis auf die Längträger komplett verschwunden, ebenso die Seitenteile, große Partien des Daches an den C-Säule sowie
die Front bis auf die Stehwände. "Ich bin zwar Kfz-Meister, aber bei dieser Mammutaufgabe brauchte ich trotzdem Hilfe. Die Karosseie war wirklich
so schlecht, dass bestimmt die Hälfte der originalen Bleichteile auf den Schrott gewandert ist. Die qualität bei Bertone
war natürlich nicht mit der Volvo-Serie zu vergleichen, die Rostvorsage war mies, mein Auto trug schon Blechflicken auf den hinteren Radhäusern.
Die schlechte Pflege des Vorbesitzers und die hohe Laufleistung haben dann den Rest besorgt", sagt der 39-Jährige.
Die maroden Blechfragmente wurden zunächst auf eine Rahmenrichtbank gespannt.
"Über Jahre habe ich Ersatzteile zusammen getragen, von neuen Kotflügeln. Innen- und Außenschwellern, über Frontmaske,
Motorhaube bis Heckblech und Kofferraumdeckel. Richtig heikel und teuer wurde es bei Bertone-spezifischen Sachen wie den Türen oder
den Seitenteilen und der Dachpartie. Am Rande: Wehe, die Frontscheibe ist kaputt.
Die gab's nur beim Coupé und ist richtig teuer."
Gemeinsam mit zwei in Karosseriefragen versierten Kollegen - die später ihr ganz eigenes "Typenschild" neben den von Volvo und
Bertone im Motorraum befestigen durften - machte sich Dirk pütter an die Sanierung. Im gegensatz zur ersten, in Silber gehaltenen
Coupé-Serie aus den Jahren 1977 bis 1978 besaß die zweite generation, die ausschließlich in der Farbe gold geliefert wurde, zu Pütters Glück
kein Vinyldach. "Ich finde diese Dächer schrecklich, und solch einen Kunststoffbezug zu ersetzen ist natürlich auch kompliziert.
Das Dach machte sowieso schon genug Probleme.
Rund um die umlaufende Zierleiste saß der Rost, das ganze Dach war bei Bertone nur mit ein paar Schweißpunkten fixiert worden.
Und der komplette untere Teil des C-Saülen musste auch ersetzt werden."
Auch an den Scheibenrahemen und am Bodenblech hatte sich der Rost verbissen, die Liste de Karosseriearbeiten wurde lang und länger,
bis endlich wieder der originale Goldton das Schweden-Coupé zierte. Inwieweit das für viel Geld nachgerüstete Webasto-Schiebehubdach
und dessen Wasserabläufe zur Zerstörung des Schwedenstahls beigetragen hatten, kann Dirk Pütter nicht abschätzen.
"Ein außergewöhliches und teures Extra was das aber in jedem Fall, gerade weil auch eine Klimaanlage verbaut ist.
Und es schränkt die ohnehin knappe Kopffreiheit weiter ein."
Zumindest beim Innenraum hatte der vom Gold-fieber befallene Coupé-Enthusiast mehr Glück. Das Wurzelholz an der Türen präsentierte sich
im guten Zustand und die mit dickem, edlem Leder bezogenen Sitzmöbel und Seitenverkleidungen, im Stil der 80 Jahre bizarr gerafft und it Applikationen
versehen, hatten die über 400.000 Kilometer tadellos überstanden. "Wieder so eine Spezialanfertigung von Bertone. Ersatz ist nicht zu bekommen, Punkt.
Und ich habe keine Ahnung, ob ein Sattler diese Qualität and diesen Faltenwurf überhaupt jemals wieder hinbekommen würde.
Ich habe einen neuen teppich gekauft und die Kopflehnen mit Leder beziehen lassen, das ging mit Abstand am schnellsten", lacht der 39-Jahrige.
"Ich bin kein Purist". ergänzt er und zeigt auf das verbaute Holzlenkrad von der Firma Hauser die Anfang der 80 er Jahre
Sonderzubehör für jene Volvo-Fahrer offerierte, die der politischkorrekten Plastikwüste des Innenraums überdrüssig geworden waren.
Mit Leder, Automatik, Tempomat, Sitzheizung ung Klimaanlage stellte der Luxus-Volvo eine Art Gegenwurf zum klassischen Marken-Image dar.
Auch der Sonderausstattungskatalog ermöglichte quasi ab Werk ein paar Ausbrüche aus dem sonst so gerne gepflegten schieren Funktionalismus.
Einer dieser Hingucker ist das "GT-Instrument" mit seinen sechs Uhren, welches den originalen Instrumenten träger ersetze. Pütter: "Das ist
ein echt rares Originaliteit von Volvo, das auf Wunsch für die 240er und 260er Modelle angegoten wurde. Ich habe es gebraucht über den Club bekommen,
nur an die gelben Ziffern konnte ich mich nicht gewöhnen. Und weil es ohnehin überholt werden musste habe ich nach Frankfurt zu VDO geschikt,
mit der Bitte um weiße Zahlen und Buchstaben.
Keine Ahnung, wie die das gemacht haben".
Ähnlich individuell verfuhr Dirk Pütter beim Fahrwerk. "Da habe ich alle Lager und Buchsen erneuert, die komplette Bremsanlage ersetzt und dann
ein Sportfahrwerk von Hauser eingebaut, das damals noch problemlos zu bekommen war. Das legt den Wagen um sechseinhalb Zentimeter tiefer und ist
natürlich auch straffer als die originale Abstimmung. Die hochbeinige Serienoptik gefiel mir nicht, so eine massige Karosserie und dann ein paar dünne
Rädchen darunter. Jetzt sind Räder im Format 7 x 15 mit 225er Reifen drauf, wie wir sie früher häufig auf Kundenwunsch an den 740er Modellen montiert
haben. Weil die Räder schon matt waren, habe ich sie noch poliert. Mir gefällt es und alles ist einfach zurückzurüsten."
Weil auch die äußere Erscheinung noch etwas Glanz vertragen konnte, installierte der
Volvo-Pilot den verchromten Kühlergrill der dritten 262-Coupe-Variante, die von 1980 bis Mitte 1981 gebaut wurde.
Die nüchtern-eckigen Standard-Scheinwerfer, tausendfach von jedem herkzömmlichen Volvo-Gesicht bekannt,
wurde durch die Doppelaugen der US-Version samt weißen Blinkergläsen ersetzt. "Ein optische Fortschritt, aber leider mit der Lichtausbeute von Teelichten."
Auch die Stoßstangen tauschte Pütter gegen Neuteile aus, die Auspuffanlage gab's komplett neu - die Liste der Ersatzteile wuchs und wuchs und der Berg
der Rechnungen mit ihr.
"Irgendwann dachte ich mir, das es nach soviel Arbeit kein Zurück mehr gäbe und habe alle Register gezogen.
Nur beim Motor gab es eigentlich kaum Probleme.
Die Kippheblwellen hatte ich ja schon früher gewechselt, da musste nur noch die K-Jetronic überholt werden.
Ich habe die Lichtmaschine gewechselt und das war es. Trotz fast 450.000 Kilometern sind da immer noch die erstn Kolben drin."
Die Dreigang-Automatik aber verlor Öl, ein Neuteil kam an ihren Platz.
"Die habe ich günstig aus einem Restbestand bei Volvo übernehmen können. Ohne den Kontakt als Händler hätte ich die ganze Resturierung wohl kaum
stemmen können"'sagt Dirk Pütter, während es gemütlich grollend, in weiche Sessel gelümmelt, über beschaulische Nebenstraßen geht.
Der Innenraum vermittelt höhlenartige Geborgenheit, nur an der Ampel muss der 39-Jährige den Kopf schief legen und darf nicht zu nah dran stehen,
willer durch die Schießscharten der einen Blich auf sie erhaschen.
Auch sonst ist Vorsicht geboten: Fast 600 Stunden Arbeit stecken in dem Auto, das Gutachten lag am ende bei 95.000 Mark.
Ich gebe offen zu, dass ich Angst um den Volvo habe und nie lange damit fahre.
Die meiste Zeit steht er bei mir im Verkaufsraum und zieht als Blickfang die Leute an, die kaum glauben können,
das Volvo so was vor 25 Jahren mal gebaut hat",
sagt Dirk Pütter. Viele hätten schon ein Kaufangebot unterbreitet, geblendet von solch goldenem Schein.
Allein hat Pütter nur ein deutliches "Unverkäuflich geschenkt - und dabei vielleicht an den Tachometer im Regal gedacht.
Jan-Hendrik Muche
Fotos Andreas Beyer (OldtimerPraxis 8/05)
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